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Stöhnen über Befindlichkeitsstörungen

 
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spritzundgo
Mitglied


Anmeldedatum: 08.10.2009
Beiträge: 49

BeitragVerfasst am: Mo, 21.Dez 2009, 14:05    Titel: Stöhnen über Befindlichkeitsstörungen Antworten mit Zitat

Stöhnen über Befindlichkeitsstörungen - eine Kritik über das Buch "Alles über Porno"

Der Autor führte Interviews mit Kreativen aus der Pornoszene und befragte leider nur teilweise die interessanten Köpfe der Branche. Uninspiriert fasst er lieblos seine Interviews zu Berichten zusammen.

Der Regisseur Morgan bezeichnet im Interview die Besucher des Kit-Kat-Clubs und des Insomnias in Berlin als "mit ihrem Fetisch in sich vereinsamt". Wer je einen solchen Club besuchte, so möchte ich sachlich einwenden, wird von der harmonischen Atmosphäre und dem kommunikativen Umgang der Gäste untereinander angenehm überrascht sein. Hier treffen sich gerade nicht wie behauptet die Einsamen zum Gangbang, sondern die sympathischen Zeitgenossen, die das Leben und ihre Sexualität zu genießen verstehen.

Die befragten Pornodarsteller im ersten Kapitel erzählen nur im Ansatz Substantielles, wo jeder gute Journalist nachgefragt hätte, um Tiefgründigeres herauszubekommen. Dies wurde versäumt. Und so bleibt das Gesagte oberflächlich. Beispiele. Zitat Vivian Schmitt: "der Hauptgrund für meine Brust-OP ist, ich kriege nicht mehr so viele BH's in meiner Größe", Zitat Conny Dachs: "die schlechte Qualität der Filme verkrätzt noch die letzten Kunden", Zitat Jana Bach: " die Menschen haben überhaupt keine Ahnung, was in der Pornobranche wie passiert"

Diese Aussagen schreien doch förmlich danach, hinterfragt zu werden. Und so endet das Interview stets da, wo es hätte interessant werden können.

Erfreulicher Weise kommen mit zunehmender Seitenzahl kluge Menschen zu Wort, die offen über ihren verschlungenen bis erstaunlich konsequenten Lebenswege zur Pornographie berichten, sodass wir mit dem vorherigen Durchstehen der Belanglosigkeiten nun mit aufschlussreichen, aufrichtigen und philosophischen Einsichten belohnt werden. Lobend sei hier insbesondere der Ex-CDU-Politiker Alexander Maassen erwähnt, der von der Bild-Zeitung als "Porno-Politiker" geoutet wurde und seit geraumer Zeit als Pornodarsteller arbeitet ("Natürlich spielt Sexualität am Anfang einer Beziehung immer eine große Rolle, doch im Kern geht es um die tiefe Solidarität zwischen zwei Menschen. Und die kaninn man sich nicht kaufen."), sowie dem wahren Multitalent Renee Ponero ("In meinen Filmen sehen die Darstellerinnen nicht gekünstelt aus und die Männer lassen nicht ständig dumme Sätze vom Stapel. Es geht um leidenschaftlichen Sex und gute Ausleuchtung.")

Gerade diese Menschen würde man nun gerne mal bei der Arbeit beobachten. Und so bleibt mir völlig unverständlich, warum es der Autor bei mehr oder weniger aufrichtigen Selbstbeschreibungen der Akteure belässt, die, da sie einfach vom Interview eins zu eins übernommen sind, den Ansprüchen an eine Reportage bzw. einen Bericht nicht erfüllen, da auf jede atmosphärische Beschreibung, auf jedes kritische Hinterfragen, auf jede Gegenthese verzichtet wird, wo jeder aus seiner eigenen Lebenserfahrung nur zu gut weiß, dass alles seine zwei Seiten hat. Wer sich nicht mit der Kehrseite vertraut machen kaninn, dem ist die Chance genommen sich einen stimmigen Eindruck zu verschaffen. Es ist traurig und frustrierend. So werden die wirklich interessanten Leute Leischner, Thaur (Pornoregisseure) und Lucia Excentric (Domina, Pornodarstellerin und vieles mehr) zur reinen Selbstbespiegelung genötigt, was dann stets nach der Melodie endet: das Leben ist schwer, aber ich machte gegen alle Vorurteile und Widerstände das Beste daraus. Das bleibt als Erkenntniswert am Ende des Interviews in Erinnerung, ist korrekt und allgemeingültig. Aber wenn man Sensationsneugier und Glamourfaktor, die einem zum Buch greifen ließ, abzieht, bleiben lediglich Phrasen und Floskeln.

Dem Buch mangelt es neben einer guten Schreibe des Autors vor allem an authentischen Persönlichkeiten der Branche, die in der Pornoszene schnell aufspürbar wären:

1. Sarah Rose (www.sarah-rose.com) und Ariane (www.arianeescort.com) sind studierte Frauen, die über ihr Wirken reflektieren und über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Beide sind in der Vergangenheit mit ihrer Sexualität sehr experimentell umgegangen, indem sie in vielen Nischen des Genres gejobbt haben (Escort, Prostitution, Porno, Striptease, Telefonsex, Club-Orgien, Gangbang, Bukkake, selbst geschriebene Internetpräsentation mit sehr gut gemachten eigenen Blogs). Diese Frauen hätten zum Thema Porno Profundes beizutragen.

2. Tanja (www.gangbangsonne.de; www.gangbangsonne.real-party.de), Marion (www.gangbang-wife.com) und Nina (www.ninas-sexworld.de) sind Vertreterinnen, die nicht originär aus monetären Gründen handeln, sondern die aus einem echten sexuellen Bedürfnis heraus agieren. Diese nimmersatten weiblichen Sexgöttinnen, die sich gerne mit einer großen Männerhorde austoben, sind selten – diese drei Frauen gehören zu dieser sagenhaften Spezies. Alle drei verdienen mit kleinen Pornofilmen noch ein zusätzliches Salär, ihr eigentlicher Fokus liegt jedoch auf Gangbangparties und Bukkake-Veranstaltungen, zu denen sie in ganz Deutschland einladen. Über solche Frauen will man was erfahren.

3. Die männlichen Pornostars aus Amerika von Ron Jeremy bis Peter North, die mehrere Jahrzehnte im Geschäft waren und deren Schwänze wohl schon die halbe Welt eingehend ejakulierend begutachtet hat, bleiben unerwähnt und bewiesen doch auf famose Weise, welch hohen Kommerzialisierungsgrad die Szene ausgehend von den Siebzigern bis heute genommen hat. Gleichfalls ist die Rolle von Silicon Valley, dem Mekka der amerikanischen Gonzofilm-Industrie und die beachtliche Rolle der Pornofirma Vivid bei der Einführung des Videorekorders eine Reportage wert.

4. Die verschiedenen Genres im Pornofilm werden im Buch nicht einmal vorgestellt, höchstens spartanisch angerissen, und dabei gäbe es da allerhand Erzählenswertes. Der Autor verliert gerade mal einen Satz über Bukkakefilme (hier wird einer Frau von einer Männergruppe Sperma in ihr Gesicht gespritzt). Es gibt zahlreiche Unterarten und eine wirklich außergewöhnliche historische Entstehungsgeschichte. Vertiefende Informationen erhält man unter: www.gesichtsbesamer.com. Ähnlich detailreich, aufklärerisch und interessant könnte man andere Nischen des Pornofilms für den noch unerfahrenen Leser erkunden.

5. Valeriaintim (www.valeriaintim.de), Spermafreunde (www.spermafreunde.de), Spermastudio (www.spermastudio.de), Uschis Partys (www.gang-bang-party.de) haben sich zumeist aus Swingervereinigungen zu offenen Gangbangs mit Pornodrehs weiterentwickelt, die sich seit vielen Jahren erfolgreich auf dem Markt positionieren konnten. Die Pornoindustrie ist viel diversifizierter als es der erste Eindruck vermittelt.

6. Nicht zu vergessen die vielen Frauen, die gleich eine eigene Plattform gegründet haben und von der Organisation, dem eigentlichen Pornodreh bis zur Rekrutierung geeigneter Darsteller alles in eigener Regie in die Hand nehmen (www.gina-blonde.com, www.katy-maus.com, www.isabel-golden.de)

Um das Thema Pornographie alleine nur in Deutschland tiefschürfend vorzustellen, braucht es wahrlich kein großes Recherche-Talent. Ich habe einen Bruchteil und nur die bekanntesten Phänomene erwähnt, die der Autor versäumte zu erwähnen. Und so kaninn ich mir die Entstehung dieses inhaltsarmen Buches nur durch mangelndes Interesse des Schreibers am Thema erklären. Man hätte mehr daraus machen müssen.

Buchbestellung
http://www.amazon.de/Alles-%C3%BCber-Porno-zwischen-Alternative/dp/3896028359/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1261227510&sr=8-1

Buchkritik aus dem Stern
http://www.stern.de/lifestyle/liebesleben/alles-ueber-porno-hinter-den-kulissen-der-sex-industrie-634028.html

Verlagsankündigung aus dem Jahr 2007, wo das Buch ursprünglich erscheinen sollte. Die Veröffentlichung wurde dann immer wieder verschoben. In der damals angekündigten Version wurden noch Interviews mit der Pornodarstellerin Tyra Misoux und dem Kult-Pornoregisseur John Thompson von GGG versprochen, die in der aktuellen Ausgabe fehlen.
http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de/lustliebe/rotlicht/allesueberporno/allesueberporno.php

Natürlich steckt hinter meiner Kritik der blanke Neid. Zu gerne hätte ich ein solches Projekt anspruchsvoll, voller Neugier und mit einem gewissem literarischen Anspruch umgesetzt.
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